“Unkontrolliertes Wachstum des Individualverkehrs verhindern!” lautet ein zentrales Postulat der Roland Berger Focus-Analyse “Mobilität 2030” aus dem Jahre 2017. Inzwischen sind sich alle Experten einig: Wir müssen aufhören, allein im Auto von A nach B zu fahren. Doch wie bewegt man sich stattdessen? Und wie passt diese Forderung zu der steigenden Wohnraumknappheit in Metropolen und der damit verbundenen Stadtflucht? Klar ist: Mobilität wird sich in den kommenden Jahren grundlegend wandeln müssen. Schon heute zeigen einige Beispiel, wie es funktionieren kann.
Beispiel 1: Autofreie Innenstadt – Wuppertal plant die Umsetzung
Autos in den Innenstädten werden in vielen Städten nicht mehr gewünscht. Sowohl als parkende “Blechschlangen” am Straßenrand, wie auch in fahrendem Zustand versperren sie aus Sicht vieler Stadtplaner den urbanen Lebensraum. Einige kleinere Orte wie das spanische Ponteverda haben die Wende bereits geschafft. Ihre Innenstädte sind autofrei, sehr zur Freude von Anwohnern und zur Zufriedenheit der Händler.
Die Stadt Wuppertal strebt dieses Ziel nun bis zum Jahr 2027 an. Das Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie möchte gemeinsam mit Bürgern, Handel und Politik ein Konzept entwickeln, um die Autos aus der Innenstadt zu verbannen. Besucher sollen mit ihren Autos draußen bleiben, Anwohner dürfen ihre Fahrzeuge nur noch auf sogenannten Quartiersparkplätzen oder in Parkhäusern abstellen. Der ÖPNV soll ausgebaut werden und günstigere Tickets und attraktive Angebote für Dauernutzer bieten. Carsharing als “öffentliche Autos” – so die Vorstellung – wird den Pkw-Bedarf in der Innenstadt abdecken. Darüber hinaus soll eine Menge digitaler Angebote dafür sorgen, dass die verschiedenen Mobilitätsangebote gut vernetzt und einfach zur Verfügung stehen.
Ein spannendes Projekt, das einen elementaren Trend in der Mobilitätsentwicklung zeigt: Die Menschen in den Innenstädten erobern sich ihren Lebensraum zurück. Sie möchten Ruhe und gesunde Luft – und deutlich mehr Platz für Fußgänger und Freizeit.
Beispiel 2: Autofreie Familie – Wie es mit Kindern auch ohne eigenen Wagen geht
Immerhin 22 Prozent der Haushalte in Deutschland besitzen kein Auto. Dies ist mehr als ein Fünftel. Bei Familien mit Kindern sinkt dieser Wert drastisch ab auf nur noch neun Prozent. Mit anderen Worten: Spätestens mit dem Nachwuchs wird auch ein Auto angeschafft – und zwar unabhängig vom Wohnort.
Dennoch gibt es Ausnahmen. So zum Beispiel die Familie von Lisa Figas. Als ihre zwei Kinder nicht mehr in das bisherige Auto passten, entschied sich die Familie, es ganz zu verbannen und stattdessen ein Lastenrad anzuschaffen sowie auf Carsharing zu setzen. Das ist inzwischen über zwei Jahre her. Obwohl es am Anfang mit viel Organisation und Umstellung verbunden war, ist die “Familie Autofrei” nach wie vor mit ihrer Entscheidung offenbar sehr zufrieden: “Wir fühlen uns gut, sind viel draußen und entdecken mit den Kindern die Stadt und unser Viertel. Die größte Erleichterung ist aber, dass viele kleine und große Sorgen wegfallen. Ich denke da spontan an Winterreifen, Reparaturen und an die Parkplatzsuche”, schreibt Lisa Fgas auf ihrem Blog.
Allerdings muss man betonen, dass die Rahmenbedingungen für Lisa Figas und ihre Familie recht optimal sind. Sie wohnen in der Stadt (Augsburg) und arbeiten in Wohnort-Nähe. Auch die sonstige Infrastruktur – wie Kindergarten oder Schule – ist fußläufig erreichbar. Das ist natürlich nicht immer gegeben. Dennoch, so die zweifache Mutter auf ihrem Blog, habe es lange gedauert, um zu merken, dass es auch ohne Auto prima funktioniert.
Beispiel 3: Autonomer Bus für Bad Birnbach – ÖPNV ohne Fahrer am Steuer
Es ist nur ein winziger Bus und eine sehr kurze Strecke – dennoch ist es ein Anfang. In Bad Birnbach fährt seit Oktober 2017 der erste autonome Bus. Er verbindet die “letzte Meile”, das heißt, den etwas außerhalb liegenden Bahnhof, die Therme und den Ortskern miteinander. Sechs Fahrgäste haben Platz in dem kleinen Elektrogefährt. Außerdem gibt es eine Fahraufsicht, die in Notfällen reagieren kann.
Die Gemeinde Bad Birnbach ist stolz, ein solches Pilotprojekt vorweisen zu können. Dies erkennt man an der Präsenz des Busses auf der örtlichen Webseite. Aber auch die Bürger nehmen das Angebot offenbar gerne an: Immerhin 40.000 Personen wurden in den vergangenen zwei Jahren befördert, wie auf der Webseite zu lesen steht.
Viele andere Gemeinden streben ebenfalls nach autonomen Fahrzeugen im ÖPNV und prüfen derzeit konkrete Einsatzmöglichkeiten. In den kommenden Jahren wird es ein immer häufiger anzutreffendes Angebot sein, und man gewöhnt sich an den Anblick eines Busses, bei dem niemand hinterm Steuer sitzt.
Beispiel 4: Digitale Dörfer – Digitale Vernetzung ergänzt analoge Mobilität
Alles gut und schön mit der neuen Mobilität, aber was ist mit dem ländlichen Raum? Wie soll man hier auf ein Auto verzichten, wie den Individualverkehr begrenzen? Mit dem Projekt “Digitale Dörfer” werden Autos zwar nicht überflüssig, aber wenigstens teilweise entbehrlich. Und das ist wichtig für beide Enden der Alterspyramide: für die Jungen, die ein Auto oftmals nicht haben und fahren möchten, genauso wie für die Alten, die möglicherweise nicht mehr fahren können.
Das Projekt arbeitet an einer Reihe von Lösungen, um den ländlichen Raum effizienter und zeitgemäßer zu versorgen und die Möglichkeiten für Mobilität über das eigene Auto hinaus grundlegend zu erweitern. So gibt es Apps für die Zusammenarbeit mit den Gemeinden oder für den Austausch von Nachrichten und Informationen zwischen den Bürgern – so etwa für Gemeinden mit auseinanderliegenden Ortsteilen.
Ein Mitbringdienst sorgt dafür, dass man das Auto effizienter nutzen kann und gemeinschaftlich einkauft. Außerdem werden Plattformen geschaffen, um Fahrgemeinschaften zu bilden und zu organisieren.
Eine Pilotgemeinde für diese Art digitaler Vernetzung ist der kleine Ort Betzdorf-Gebhardshain. Unter dem Namen “Dorffunk” ging in 2018 eine App an den Start, die zum Plausch und Austausch zwischen Bürgerinnen und Bürgern einlädt. Seitdem arbeitet das Dorf kontinuierlich an einer Erweiterung der digitalen Möglichkeiten.
Mobilität der Zukunft hat viele Facetten
Die vorausgegangenen Beispiele zeigen, wie facettenreich das Thema Mobilität in Zukunft sein wird und wie viel Bewegung derzeit bereits spürbar ist. Die Fortbewegung von morgen wird nicht mehr nur in den Kategorien Fahrrad, Auto, Bus oder Bahn gedacht werden können. Mobilität ist mehr als das und muss grundlegend neu gedacht werden.
Hinterlasse einen Kommentar