Kunstobjekte haben einen Wert – einen ideellen aber natürlich auch einen materiellen. Und der materielle Wert muss durchaus versichert werden. Die Kunsthistorikerin Anette Schwarz berichtet im Interview von ihrem spannenden Arbeitsfeld.
Frau Schwarz, stellen Sie sich und ihren beruflichen Werdegang doch bitte kurz vor.
Das mache ich gerne: Mein Name ist Anette Schwarz. Ich bin seit dem 1. April 2011 bei der Gothaer. Ich habe mich immer schon für Kunst interessiert, wollte aber nie Künstlerin werden, da waren mir meine Grenzen bewusst. Ich fotografiere leidenschaftlich gerne, aber rein als Hobby.
Ich komme aus der klassischen Kunstgeschichte, habe Kunstgeschichte studiert, Anglistik, Amerikanistik und Psychologie und war auch als Kunsthistorikerin tätig. Unter anderem habe ich für das Landesmuseum Berlinische Galerie eine Ausstellungstournee mit 1.000 Exponaten als Ausstellungskoordinatorin betreut. Dabei ist es unverzichtbar, eng mit Kunstspeditionen und Technikteams zusammenzuarbeiten. Professionelles Handling von Kunst, Prüfung von Klima und Sicherungsanlagen gehören zum Alltag und last but not least die Abstimmung in versicherungstechnischen Fragen. Auch die Realisierung von Ausstellungsprojekten als freie Kuratorin fiel in meine Berliner Zeit. Dort gab es nach der Wende sehr gute Möglichkeiten, seine Ideen zu vermitteln, weil man auf große Offenheit traf, die Aufbruchstimmung war einfach toll. Alle haben mitgemacht, es war eine sehr aktive, experimentelle und auch lehrreiche Zeit. Da habe ich schnell gelernt, wie man Menschen für eine Sache begeistern und auch noch Geld akquirieren kann.
Sicherlich hat dies auch dazu geführt, dass ich bei der Gothaer als Chief-Underwriter für die Kunst im Außendienst bin. In der konkreten Zusammenarbeit mit Künstlern steht man immer wieder vor Herausforderungen. Und irgendwann stellt sich in diesem Zusammenhang auch mal die Frage: Muss dieses Objekt nicht vielleicht auch versichert werden?!
Während meiner Arbeit an einem Werkverzeichnis zu zwei Künstlern war mein Zuhause das Atelier. Ein gutes Jahr konnte ich die Entstehung von großen Skulpturen hautnah miterleben, quasi von der Zeichnung bis zur 10 Meter hohen Stahlarbeit. Transportiert wurde dann mit dem Tieflader. 1995 habe ich dann „echte“ Tuchfühlung mit dem Thema Kunstversicherung aufgenommen: Ich habe damals bei einem großen technischen Versicherungsmakler in Berlin in der Kunstversicherung angefangen und war im Zuge dessen im Raum Berlin, Mülheim, München, Hamburg tätig.
Der Zusammenhang Kunstgeschichte und Versicherung erschließt sich dem Laien nicht direkt. War diese berufliche Verknüpfung schon immer ihr berufliches Ziel, oder war es eher ein Weg mit „Schleifen“? Und wie geht das in der Praxis zusammen?
Wenn Sie Kunstgeschichte studieren, ist es keine Berufsausbildung, es ist ein rein geisteswissenschaftliches Studium. Man beschäftigt sich im Studium vornehmlich mit kuratierten Werken – so, wie man sie als Besucher im Museum auch sieht, gerahmt, gehängt, eben im „fertigen“ Ausstellungsrahmen. In den Vorlesungen wurden Dias an die Wand geworfen. Das Organisatorische, wie die Künstler arbeiten, wie Ausstellungen organisiert werden oder dass Kunstwerke für Ausstellungen oder Messen von A nach B reisen und dann eben auch versichert sein sollten, das alles spielt doch eher, wenn überhaupt, eine sehr untergeordnete Rolle.
Als Kunsthistoriker bei einer Versicherung zu arbeiten, ist überhaupt nicht ungewöhnlich. Das macht auch Sinn: Wenn ich ein Kunstversicherungsthema angetragen bekomme, ist es natürlich sehr hilfreich, wenn ich das Museum einordnen kann, wenn ich weiß: ‚Aha, das hat diesen und jenen Sammlungsschwerpunkt‘. Oder wenn ich Exponate-Listen bekomme, die die Basis des zu versichernden Risikos bilden, dann setze ich mich mit Werten auseinander, mit Auktionsergebnissen. Ich muss die Besonderheiten, Beschaffenheiten und auch Materialien von Kunstwerken kennen und einschätzen können, um die Risikoeinschätzung vornehmen zu können.
Der allseits bekannte „eingelegte Hai“ von Damien Hirst, der in Formaldehyd schwimmt, ist eine andere Herausforderung und bedarf einer anderen Risikoeinschätzung als wenn sie eine gerahmte Grafik ausstellen oder auf den Transport bringen. Da ist es doch sehr hilfreich, wenn man sich dem Thema als Profi nähern kann. Das Wissen um das zu versichernde Risiko – bei mir ist es das Kunstwerk – ist demnach von Vorteil und es ist sehr sinnvoll, Leute an Bord zu haben, die sich in diesen Fragen auskennen.
Ganz konkret lautet meine Stellenbezeichnung „Chief Underwriter Fine Arts“. Meine Hauptaufgabe ist es, Risiken einzuschätzen, zu beurteilen und entsprechend dann auch zu zeichnen im Rahmen einer bestimmten Vollmacht.
Was sind das für Menschen/Institutionen, die zu Ihnen kommen und Kunst versichern möchten?
Das geht los bei Museen und Ausstellungshäusern und dem damit verbundenen oft internationalen Leihverkehr, das heißt, dass Exponate an andere Häuser ausgeliehen oder auch ganze Ausstellungskonvolute in den Häusern als Sonderausstellungen gezeigt werden. In diesem Zusammenhang kümmere ich mich um die Risikoeinschätzung, zum Beispiel bei Transport oder Verpackung, Sicherung … Es gibt eine Palette von Faktoren, um das Risiko einschätzen und auch quotieren zu können, das heißt den Versicherungsbeitrag festzulegen.
Da ist es natürlich ein großer Unterschied, ob es sich um Ausstellungstourneen mit Zwischenlagerungen handelt oder zum Beispiel um eine Messe mit deren spezifischen Risiken.
Hier kommen dann die nächsten Institutionen, mit denen wir arbeiten, ins Spiel: Galerien und Kunsthändler. Diese verstehen Kunst als Handelsware, womit ganz andere Interessen und Risiken einhergehen als bei Museen, die in erster Linie Kunst bewahren und ausstellen. Für diese gibt es bei der Gothaer ein spezielle Kunstgalerieversicherung GoArt. Viele Galeristen gehen auf Messen, natürlich auch internationale Messen, wodurch die Kunst in Bewegung ist. Nicht nur innerhalb Europas – gerade in den letzten Jahren sind große wichtige Messen in Asien gewachsen, China, Indien, Südamerika, Russland, die USA, der ganze Markt ist globaler geworden und damit ist mein Aufgabenbereich sehr vielseitig und interessant.
Unsere nächste Kundengruppe sind die Privatsammler und Stiftungen. Da unterscheiden wir seit Anfang 2013 die rein private Kunstversicherung, also wirklich rein private Kunstsammler, und die Kunst- und Mobilienversicherung ab einem bestimmten Versicherungsvolumen, die bei uns versichert werden können.
Die unterschiedlichen Kundengruppen sind natürlich auch wieder miteinander verbunden: Bei Stiftungen spielt der Leihverkehr wieder eine Rolle, wenn einzelne Highlights für Groß- oder Themenausstellungen angefragt und verliehen werden. Der Galerist verkauft im Idealfall die Werke, die Kunst als Ware geht dann zu Privatsammlern über. So bildet sich ein Kreislauf, in dem wir als Versicherer aktiv sind und beraten können.
Im Gebäude der Gothaer Versicherung ist die Geschichte der Versicherung sehr umfangreich dokumentiert worden und gut sichtbar für die Besucher des Hauses in vielen Schaukästen ausgestellt. Hatten Sie als Kunsthistorikerin an dieser „Ausstellung“ Anteil? Woher kam die Idee, die Geschichte so aufzuarbeiten?
Ich hatte damit nichts zu tun, ich bin ja auch erst seit zwei Jahren hier. Die Exponate und Ausstellung gibt es schon sehr lange. Mit Auflösung des Hauses der Versicherungsgeschichte in Gotha kam die Idee, diese Sammlung der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Es ist ja auch toll und gerade für ein solches Traditionshaus, wie es die Gothaer ist, auch sinnvoll, die Geschichte des Hauses so zu präsentieren. Das ist eine wunderbar gemachte Ausstellung, mit großartigen Exponaten, die hier zusammengetragen wurden. Zum Beispiel das fantastische Architekturmodell, oder die Münzen, Plaketten, erste Produkte, womit ein Gesamtbild der Versicherung und ihrer Entstehung gezeichnet wird.
In dem Film „Verlockende Falle“ von 1999 spielt Catherine Zeta-Jones Virginia Black, die bei einer großen Versicherung dafür zuständig ist, Kunstraub zu verhindern und die Diebe zu fassen. Es gibt dort einige spektakuläre Diebstahls- und Verfolgungsszenen. Geht ihr Berufsfeld manchmal in diese Richtung, oder stelle ich mir doch zu sehr Hollywood vor?
Na klar kenne ich diesen Film, in vielen Filmen bis hin zu James Bond spielt Kunstraub eine Rolle. Die Geschichte oder Idee des Kunstraubs als Auftragsdiebstahl durch Reiche oder Mächtige ist sicherlich nicht der Alltag. Mir ist in meiner Laufbahn seit 1995 ein Raub als reine Auftragsgeschichte noch nicht untergekommen. Dies passiert doch eher in Hollywood oder im Film.
Dies sind Ausnahmen, denn Sie müssen sich auch vorstellen: Wenn in Kunstmuseen eingebrochen wird und dort aus einer Sammlung bekannte Kunstwerke gestohlen werden, vermutet man erst einmal Auftragsdiebstahl, aber da könnte auch eine andere Sache hinter stecken, die unter den Begriff des Artnappings fällt. Das heißt ähnlich wie beim Kidnapping wird die Kunst entführt, um sie zum Rückkauf anzubieten und Eigentümer oder die Versicherer, die das Bild versichert haben, zu erpressen. Aber auch dies ist zum Glück nicht Alltag. Das liegt auch daran, dass das Landeskriminalamt bei der Aufklärung von Kunstrauben sehr engagiert ist.
Es gibt aber auch Institutionen wie zum Beispiel das Art Loss Register, bei dem gestohlene Kunstwerke aufgelistet werden und das eng mit der internationalen Polizei zusammenarbeitet. Wenn ein gestohlenes Highlight dann irgendwo im Markt wieder auftauchen würde, bekommen Sie diese Objekte gar nicht mehr verkauft. In jedem Fall ist es eine kriminelle Handlung. Aber, und das spiegelt auch das Filmgeschehen wider, der Kunstdieb hat immer noch etwas fast schon Charmantes in der Darstellung und das ist natürlich eine extreme Verklärung des Ganzen. Wenn man sich allerdings die Strafmaße für Kunstdiebe oder auch Kunstfälscher anschaut, kann man schon denken, es handele sich doch nur um ein Kavaliersdelikt.
Wenn im Rahmen einer Ausstellung ein Werk gestohlen wird, dann ist der Einbruchdiebstahl ein versichertes Ereignis, sofern nicht grobe Fahrlässigkeit oder Vorsatz nachgewiesen werden können, und wir als Versicherung müssen den Schaden zahlen – so einfach ist das.
Wenn Sie selbst ins Museum gehen: Können Sie die Ausstellung genießen und sich auf die Kunst konzentrieren oder haben Sie eher die Sicherungssysteme oder Ähnliches im Fokus?
Ja sicher, ich gehe sehr gerne und auch regelmäßig in Museen oder Galerien. Ich gucke natürlich nicht immer, wie ist das gesichert, denn in erster Linie gehe ich dahin, weil mich die Kunst interessiert – so kann ich das auch genießen. Aber ich gebe zu: Wenn ich durch gut besuchte Ausstellungen gehe und sehe, wie kriminell nah die Besucher den Exponaten kommen oder sich auch etwas unbedacht bewegen, dann zucke ich auch schon mal zusammen. Aber dass ich irgendwo reingehe und als Erstes gucke, wo sind die Bewegungsmelder, wo sind die Brandmelder, nein, das tue ich nicht, das bleibt im Hinterkopf und ich konzentriere mich auf die Ausstellung!
Danke für das nette Gespräch!
[…] Ja, das Feedback war recht positiv. Die Blogger sind eindeutig dafür, dass man auch als Versicherung bloggt. Und worüber? Sie wollen Themen aus der Versicherung hören und keine Werbung. Sie hinter die Kulissen blicken und Beiträge lesen wie zum Beispiel „Was macht eigentlich eine Kunsthistorikerin bei der Gothaer?”. […]